Dienstag, 21. Mai 2013

41. fortsetzung "nirgendwo"


kleinkerl durfte die krone behalten. der könig war froh, daß seine frau mit den kindern gekommen war. ab jetzt sollte man ihn herr könig ansprechen. bei tisch saß er nun mit seinen zehn kinder und seiner frau wieder beisammen. nur kleinkerl durfte nicht mehr an die tafel. er leistete dafür frau dürr gesellschaft. die krone konnte er aufbehalten. frau dürr mochte ihren goldenen schimmer im kerzenschein. bald war eine woche vergangen und noch eine. an dem morgen kam frau dürr fröhlich an die tafel, machte beim austeilen komplimente und scherzte mit den kindern. es war nicht zu übersehen, sie war jünger geworden. ihr haare waren kastanienbraun und glänzten. ihre augen leuchteten und blitzen, wenn sie lachte. ich war gern in ihrer nähe und dachte mir, sie ist die richtige. als ich ihr flieder aus dem garten brachte, holte sie gleich eine vase. sie richtete die zweige und gab mir einen kuß auf die wange. meine haare waren nicht mehr weiß. auch ich war ohne jeden zweifel dabei, immer jünger zu werden. ich machte mir keine gedanken, ich war ja verliebt. wenn ich abends an der weinbehangenen pergola im garten stand und ins weite land blickte, dachte ich, "wenn sie doch nur neben mir stände". der garten endete hier an der brüstung. dahinter fiel die böschung steil ab. tief unten lag ein kleines haus. "da wohnt die familie nolte", sagte sie. da stand sie neben mir und ich legte meinen arm um ihre schulter. ich fragte nicht nach, sondern blickte hinunter und sah, daß dort vor dem haus im hof ein kind saß. offensichtlich redete es auf den hahn ein, der aufgeplustert vor ihm stand. wir sahen uns an und schauten noch eine weile, was sich dort unten täte. danach folgten ein paar wochen des innigen glücks. ich schlief in ihren armen und wachte in ihren armen auf. dann aber wurde ich wieder jünger. sie aber nicht. als sie merkte, das ich ein knabe wurde, mied sie mein bett und zog sich zurück. nach tagen der verwirrung koste sie mich, wie eine mutter und ich blieb bei ihr am tisch. dafür wurde kleinkerl nun wieder an die tafel gesetzt. er war es gewohnt herumgeschickt zu werden und zahlte mit schabernack, auf den ein wutanfall folgten konnte. herr koenig wußte jedoch mit ihm umzugehen und mit den kindern verstand er sich ja. ich wurde immer jünger und wußte nun nicht mehr, daß frau dürr nicht meine mutter wahr. ich versank erneut im glück, wenn ich in ihren schoß lag. da geschah das unglück, daß frau dürr in das alter, das sie eigentlich hatte, zurückfiel. da war sie nicht mehr in der lage mich zu behalten. ich hatte das kleinkindalter, als ich schon gehen konnte, verlassen und krabbelte nun über das parkett. frau dürr faßte den entschluß mich fortzugeben. die übrigen gäste hatten die wandlungen mit interesse verfolgt und hingenommen. frau könig las den fortsetzungsroman, der täglich in der tageszeitung erschien, mit grosser anteilsnahme und fühlte sich gut unterhalten. herr könig scheute, ihr ins gewissen zu reden. sicher hätte er, wenn es nach ihm ginge, mich in seine kinderschar aufgenommen. so wurde ich, als wieder einmal die gemüsefrau heraufgestiegen war und ihre kötze geleert hatte, dahinein gelegt. frau dürr schneuzte ins taschentuch und bat die frau mich vorsichtig hinabzutragen. nun kam ich hinunter ins häuschen zu familie nolte, das sie mir einst, als wir beide gleich jung waren und verliebt im garten standen, zeigte. ich kam zu dem knaben, den ich gesehen hatte, als er mit dem hahn zu reden schien, und wurde sein bruder.


"frau dürr schneuzte ins taschentuch und bat
 mich vorsichtig hinabzutragen"