Donnerstag, 4. Oktober 2012

6. "texte 1960 - 1975" : melker



melker

auf dem blauweißen gebälk der himmelsbäume 
sitze ich
melker 
steine werfend 
die tischen auf 
und durchschlagen die erde 
wurzeltief 
arabische gesänge durchpflügen die luft 
der heiße tag lässt die wurzeln tiefer fliehen 
ins erdinnere 
zu trinken von ganz heißen 
nife 
melker schreit 
wie ein stein fliegt melker 
schreit verzückt 
wie ein stein titscht melker 
die erde durchschlagend 
wie ein stein 

die himmelsbäume 
stabile festgefügte häuser 
klirren 
glas umfasst melkers glied 
glasglied 
sirren 
es schreit jetzt 
mit spitzen hellen lauten 
aus der tiefe des baumes 
und melker
die arme in die glühenden zweige hängend 
wiegt sich 
das glasglied im glasarm 
die sonne verdunkelt 
in den himmelsbäumen bricht das glas 
melker springt 
ich titsche auf 
mit melker im leib 
melker titscht auf 
mit leib und glas 
es flieht 


die straßen 
die hinausführen 
sind kalt 
der blick aus dem fenster 
löscht das truglicht 
illusion 
es scheint als sei alles kälter 
beim öffnen des fensters 
strömt die kälte hinein 
über die kalten wege geht melker 
versucht das fenster zu schließen 
in einem raum 
den er schon verlassen hat 
melker müht sich 
doch die kälte hat schon melker 
ich versuche das fenster zu schliessen 
was ich sehe erschreckt mich 
die welt lebt 
der hund bellt 
hundegebell 
der mensch bellt 
hundemensch 
die bäume bellen 
auf den ästen sitzen hunde 
mit menschen im arm 
zahn der zeit 
den holzturm in den kopf gesetzt 
hat melker sich schon lange 
im holzturm sitzt sein hirn 
ihm wird nicht bange 
den holzturm hat der holzwurm gerochen 
er ist ihm in den kopf gekrochen 
ausflug 
die fahrt nach paris 
eine übernachtung 
ein frühstück 
kostet in etwas so viel 
hunde dürfen nicht aufs zimmer 
ein haufen sägespäne 
gestern wurde der papierkorb geleert 
gegen abend 
es wirft schatten 
die sonne steht tief 
ihr da 
warum habt ihr aufgehört 
bellt weiter 
der jetzt einsetzende regen 
singt ein vertrautes lied


melker ist müde 
ich spanne noch einmal die hände um den fenstergriff 
und stemme 
dann lasse ich mich fallen 
melker schläft  
ich wache in der frühe auf 
der stein auf dem ich sitze 
wächst vor einem hohen dickstämmigen baum 
aus der sandigen erde 
so finde ich mich 
mit dem rücken an den stamm gelehnt
die arme abgespreizt
es ist frisch
inmitten der stille 
die vielsprachigkeit des windes
farben
farbwerke 
smaragdgrüne moosdecke
mauer aus sonne
die große mauer in der stadt verbirgt den himmel
die sonnenstrahlen hinterlassen zeichen 
auf der dunkelgrünen moosdecke
die mauer verbirgt den himmel 
und die  fabrikschornsteine qualmen 
die sonnenstrahlen fallen tief 
durch das blattwerk der bäume 
fallen zaghaft blaue lichter 
auf die rote moosdecke 
fallen lauter blaue lichter 
der rauch der städte 
steigt in den himmel 
der tag streckt die arme aus 
mit bergigen vielflüssigen händen berührt er 
das wasserfarbene licht berührt 
mit bergiger vielflüssiger orangefarbener fingerigkeit 


der tümpel breitet sich 
wie getrübtes 
mit den jahren alt und rissig gewordenes spiegelglas 
vor mir aus 
ich sehe hinauf 
in die baumkronen 
auf der gegenüberliegenden seite 
sie bewegen sich leicht 
ich vermisse das sanfte rascheln des laubes 
das sonst die bewegung des blattes begleitet 
und gleich einem tanz 
nach einer freien 
oder vorgeschriebenen 
komplizierten oder einfachen rhythmik 
erscheinen lässt 
selbst als die bewegungen heftiger werden 
und die baumkronen ins schwingen geraten 
sich dann grotesk gegeneinander aufbäumen 
bleibt es still

er stand auf 
und ging einige schritte 
am rand des tümpels entlang 
abdrücke seiner schuhe 
im sand hinterlassend 
dann bückte er sich 
einen kieselstein aufzuheben 
den er aus der höhe der hüfte 
mit leichter handbewegung 
in den tümpel warf 
aufschlagsgeräusch 
stille 
der stein hatte sein spiegelbild getroffen 
der zweifel in seinem gesicht 
löste sich in den kreisen 
die sich um die aufschlagsstelle 
ausbreiteten 
gleich einer stummen fortsetzung 
des geräusches 
größer wurden 
und schließlich 
verschwanden 
er warf einen neuen stein 
und wieder 
zweifel 
sich lösenden zweifel 
wieder sichtbarer zweifel 
immer neue Steine warf er 
und fand freude an seinem betrug 
bis es ihn ermüdete 
und er die hand sinken ließ 
unsichtbarer zweifel 
sichtbarer zweifel
zweifel am zweifel



die einen reden 
mit beschwichtigenden worten 
sie lieben den rauch 
der staublungen macht 
die anderen fliehen 
in den festen tag 
sie kämpfen gegen ihr leben 
kämpfen an gegen den leib 
der ihn nicht gehorcht 
und krank wird 
einige werden hin und her geworfen 
kommen in bewegung 
aber sind bald schon ohne halt 
was sich Ihnen die poren setzen will 
jagt sie 
und aus dem gehen 
dem fortschreiten 
wird angst 
irres verhalten 
mit der kraft ihrer körper 
werfen sie sich gegen die flut 
doch die fenster bleiben geöffnet 
noch lange 


melker 
hinter den pfeilern einer kirche 
während der sonntagspredigt 

eine gesunde kuh 
mit gesunder milch 
im gesunden euter 
treibt ein gesunder hüter 
durch die gesunde stadt 
vorbei an gesunden menschen 
mit gesunden gedanken 
in gesunden gehirnen 
da fällt vom dach 
der gesundmachenden kirche 
ein doppeltgesunder wetterhahn 
der doppeltgesunde wetterhahn 
fällt auf die gesunde kuh 
mit nun doppeltgesunden richterverstand 
stellt ein nun doppeltgesunder richter fest 
doppeltgesund fällt auf gesund 
gesund ist tot 
es lebe doppeltgesund 
das nun doppeltgesunde volk 
schlägt den gesunden hüter doppeltgesund 
eine doppeltgesunde kuh 
mit doppeltgesunder milch
im doppelt gesunden euter 
treibt ein...


melker 
angeekelt 
finde ich nachts 
auf dem friedhof 
vor einer vormals gesunden 
jetzt aber 
und das ist es 
was mich freundlich stimmt 
dahin dahinfaulenden milchkuh 
suckelnd am euterrest 
finde ich ihn  
ich schrieb auf 
seine tat 
die lobenswerte 


melker 
fleischbeissend 
trieb in die flucht 
seine häscher 
melker 
am grab 
eines toten soldaten 
unseren toten helden 
im ewigen gedenken 
gefallen für volk 
und vaterland 
wir haben gegraben 
nach toten soldaten 
mit eisernen spaten 
wir fanden begraben 
die toten Soldaten 
nicht 
nur ihre taten 
wir fanden begraben 
der toten soldaten 
eiserne kreuze 
heldentumsdaten 
wir rissen heraus 
die kreuze 
verfluchten 
die helden 
man fand uns 
ausruhend 
auf den gräbern


als melker aufwachte 
war justine schon in ihm 
dreitausend kubikmeter sand 
abgetragen 
einen ozean 
eingezäunt 
in brand gesteckt 
bagger 
raupenschlepper 
betoniermaschienen  
baukräne 
sersatzstücke 
eisen 
beton 
gläserner nachttopf 
bauarbeiter mit gelben hüten 
sicherheitsvorschriften 
ohne zweifel 
in melker wird gearbeitet 
er blickt aus dem eisverkrusteten fenster 
hinunter auf das kleine vordach 
des baufälligen wirtshauses 
gelbe flecken im Schnee 
er hatte nachts aus dem fenster gepisst 
plötzlicher frühling 
satte wiesen 
gelber krokus 
melker beugt sich über die sich öffnenden kelche 
und flüstert 
in mir standen die bagger still 
die arbeiter setzten die hüte ab 
melker erblickte justine

es hat ihn getroffen 
ist durchgegangen 
unruhig durch ihn hindurch gegangen 
spuren hinterlassend 
der tag schien sehr lange still zu stehen 
ist dauerte aber nur eine sekunde 
ein kurzes verharren 
eine sekunde krieg 
arme in die luft strecken 
mama schreien
eine sekunde lang 
sehnsucht 
an die Heimat 
an der heimatlichen tür stehen 
nur anzuklopfen brauchen 
ein tag verstrickt sich eine sekunde 
bleibt stehen 
scheint zeitlos 
das erblicken justines
in der großen wohnung 
die mächtigen portale meiner schlösser
die betten 
groß wie ozeane 
aber in justine
da wo meine heimat liegt 
ist der feind 
die zeit 
die zu mächtige 
zu weitmaschige 
nimmt den großen irren schrei 
nimmt die kugel 
die Sie mir 
ihm gegeben haben 
nicht an
lässt hindurch
den moment ewigkeit

der ordnung der toten dinge erliegt der mensch 
er ordnet sich gleichsam mit 
ordnet sich unter 
im zustand des totseins wird die einmal getroffene anordnung zu stabiler leere 
die schritte über den gartenweg sind die schritte des heimkehrenden 
doch schon beim öffnen des gartentors hat er das haus nie verlassen 
ist zuhause 
jedoch nicht heimgekehrt 
sein schreiten ist das stehen bleiben im einmal gesetzten punkt
da ist nichts neues 
keine erleben 
nur der gang durch das vertraute labyrinth 
die zimmer gewöhnt an gäste 
die auch nichts neues bringen 
gleichen totengruften 
staubfrei 
hindern am betreten den gutwilligen 
verlockend sind sie für jeden der kommen will feuer zu legen

ich tauche hinein 
in melker und erklimme die plattform 
von dort vermag ich die welt zu sehen und die hügelkette 
hinter der dir mein zimmer liegt 
das mir fremd geworden ist 
so verharre ich eine weile 
betrachte die bewegung geratenen bäume 
umschreite wieder den tümpel 
steine werfend 
noch bereitet es mir vergnügen 
das spiel mit dem zweifel 
während ich da stand und ins wasser blickte setzte sich eine prozession in bewegung 
und überstieg die hügel
melker hatte das zimmer betreten 

unterwegs in der stadt 
auf der suche nach einem geeigneten kompass 
geschah es 
das ich von einem windstoß umgeworfen 
mit dem kopf schwer aufschlug 
als ich nach der bewusstlosigkeit wieder aufwachte 
hatte ich mein vorhaben vergessen 
ich irre umher 
versuche den fremden straßen zu entkommen 
da treffe ich 
schon in den randgebieten der stadt angelangt 
auf ein gebäude 
das sich von den ärmlichen hütten 
der hier ansässigen 
abhebt 
es erinnert mich an die alten bankhäuser im geschäftsführungsviertel der stadt 
als ich mich im großen eingangsportal nähere 
sehe ich melker auf den stufen sitzen 
lachend zeigt er in die richtung aus der ich komme 
kompass 
ich kehre um 
diesen moment bin ich glücklich 

aber wenn da auch alles blüht 
und der morgen kraft zu haben scheint 
stimmt mich der blick 
hinab auf die stadt 
mit den geschlossenen fenstern 
traurig 

die seele des menschen sei der große wunsch 
sein brennendes verlangen 

ich betrete ein haus mit blanker fassade und vielen fenstern
ich steige barfuß die marmortreppe hinauf 
die weiße fläche brennt mir unter den füßen 
auf zehenspitzen schleiche ich weiter 
überlassen mich der automatik der bewegung 
allmählich gewinne ich an höhe 
die treppe führt an langen schummrigen gängen vorbei 
vor den türen hängen felle 
da lugt ab und zu ein kopf heraus 
teilnahmslos blickt ein rundes fleischgesicht 
anstelle der nase erhebt sich ein katzenkopf 
die katzenaugen sind geschlossen 
aus dem maul bellt es 
kaffee im obersten stockwerk 
irgendwo kracht ein schuss 
und von den wänden rinnt warme milch 
melker stürzt mir nach 
von der treppe kommt ein mit akten beladener karren herangeschossen 
er bekommt patschhändchen und schreit jämmerlich
ein elefant schreitet ruhig rosenfressend an uns vorbei 
hinab 
melker steigt höher 
die treppe wird schmal und trifft auf einen engen
sich nach oben schraubenden gang aus blanken stahl 
melker müht sich hinauf 
in den nicht sichtbaren himmel 
die stahlblauen wände rücken dichter zusammen 
melker zwängt seinen schmächtigen leib hindurch 
am ende des ganges führt ein runder schacht weiter nach oben
es riecht nach moos und pilzen 
melker stämmt sich hinauf 
über im strahlt blauer himmel 
der schrille pfiff einer lokomotive aus der ferne 
menschen begrüßen ihn
lachen 
großes hungriges fest 
melker schreit vor freude 
da stürzte er hinab 
und findet sich auf der untersten stufe des hauses liegend

und dachte ich an die sonne
erschien eine schwarze kugel 
hinter dem mond 
glotzt aus leeren augen
den mund offen 
auf die schlafende welt 
nur ich war wach
ich saß neben meinen stühlen 
lag hinter meinem bett 
weinte aus dem beschlagenen spiegel 
und drückte meine hand fest 
so daß es weh tat 
ich umarmte mich 
oh gott 
war ich stürmisch 
ich liege hinter meinem bett 
der körper bebt vor erregung 
oh ich liebe mich 
langsam weicht der schmerz aus meinen tränen 
da sehe ich hinauf 
da sehe ich ein feines netz aus licht und tränen 
die sonne bricht 
die heiße kraft ergießt sich 
die meere brodeln unter heißer blauer luft 
ein großer weißer vogel mit prachtvollen schwingen 
sinkt in den himmel
und es ist 
als wäre dies das ende 
doch schlief ich 
und es war eine müde alte sonne 
dieich sah an diesem morgen
wo draußen der tag 
die weißen hinters ohr kämmt
ich weine 
ich bin ganz ruhig 
mein tag beginnt 

man hatte ihm einen warmen Mantel gereicht er hat ihn genommen und mit dem Kopf geneckt ganz selbstverständlichen Sicherheit der genommen als wäre er fest davon überzeugt gewesen dass man ihm eines Tages eine festere Hülle über die Schultern wirft ach ich bin einsam will es ist 6:00 Uhr ist eben aufgestanden noch ist nichts zu spüren von jener heißen Sonne in seinem Tag füllen in Verlag anlassen wird von ihr vorzugehen er ist zuversichtlich denn seine Nacht war voller Tränen und sein Gesicht ist vital beeilt sich nicht seine Bewegungen sind langsam würdevoll in seiner Vorstellung atmete schon die führende Luft dienen aufnehmen wird bald Vorhänge und wir sind geschlossen er betrachtet sein Gesicht im Spiegel interessiert blickt sich scheuen die Augen zwei große Teller satte tiefe feuchte Teller darüber glüht die Sonne vom Eifer gefasst setzte seinen Schlund ihr wird die Tür öffnen und hinauszutreten die brennende Luft wird ihm den Atem verschlagen und der wird die Sonne betreten den grauen verregneten Morgen vergessen haben die Welt Schweiz nahm Mord sie liegt vor uns auf den Knien bittet uns endlich den Todesstoß zu führen der getötete Stier wird aus der Arena getragen Jubel dermaßen über die Trümmer geht Melker Lachens in den Arm schlägt Melker Granitfinger bis in die Dekra gefahrene Himmel wie frei das springt und hüpft das jauchzt das Bild wieder mit Steinen geworfen wird Straßen aufgerissene Straßen einfach hineingeschleudert werden alles hinein in den brennenden Himmel in den auf der nimmt auf und wirkt hinunter wir werden die Steine sammeln und eine neue Stadtbahn