Freitag, 4. Januar 2019

Nirgendwo Band 4 Text 3

„die kinder!" ein schwall von hellen stimmen hatte mich ans fenster gebracht. paarweise zogen sie vorbei, im takt einer filmspule, jedes bewegte sich, sie hüpften, schienen auseinander zu fliegen, zwischen drei stummen wächtern, die nach und nach auftauchten. gebannt stand ich hinter der scheibe, das war lebendig, eine schlange tobend wie der drache, explosiv, gewaltig und zimbeln dazwischen, glockenhelle worte im geschrei, auch gequake, versiegend im gegrummel, als sie vorbeigezogen waren. ich hielt inne und dachte, wie schön dass es geschieht, dass es sich meldet, das leben, die sehnsucht, der abschied, alles in einem laut, kinderklang oder kraniche am himmel, frösche überall, lautsprecher in den büschen, wasserfälle. als ich wieder hinaussah blickte ich auf den mann, der tanzend den arm über sich haltend, in der hand einen zettel, auf dem pflaster kreiselte wie eine aufgezogene puppe, mal meinen blick kreuzte, bei augenkontakt sofort nach unten sah, beim andern mal nach links oder rechts einer verständigung auswich. albern ist der aber dachte ich und beschloss ihn aufzusuchen. an der haustür hörte er auf albern zu sein. „ich habe die kartons schon ins haus gebracht", er zeigte aufs gartenhaus, wo die tür nicht geschlossen war. „jetzt bitte ich um bestätigung" er präsentierte den zettel recht zackig. auch den stift zum signieren hatte er in der hand. ich unterzeichnete und dachte, dass es die puppen sein könnten, die da geliefert wurden. „ja, die puppen" sagte der mann, schob den zettel, nachdem er sanft lächelnd darauf geschaut hatte, mich ebenfalls so anlächelte, in die jacke. er machte auf dem absatz kehrt, riss das angewinkelte bein hoch, als wolle er salutieren, schaffte es aber, sich in einer eleganten bewegung in eine drehung zu bringen, so dass es diesmal den anschein hatte, als wolle er sich im tanz trudelnd von mir fortbewegen, dem er eben die puppen geliefert hatte. noch nie hatte ich sie alle zusammen bestellt. bevor ich den fortgang der geschichte festlege, jetzt hier für mich, als auch für die handlung meines bühnenstückes, werde ich sie erst einmal in ruhe betrachten. ich sah noch zu, wie der mann sich sein fuhrwerk herbei rief, das er hinter der strassenecke abgestellt hatte. mir kam sie bekannt vor, diese karre, vor der ein alter gaul müde trabte. diesmal war da kein sarg auf der ladefläche. als er sich auf den bock gesetzt hatte und die zügel nahm, hüpfte ihm etwas auf die schulter und schon hatte er einen zylinder auf. was für ein zirkus, ein trick folgt dem andern, jetzt ein purzelbaum, die landung auf der ladefläche, etwas gepolter und prustendes lachen.   

 "du hast schon wieder vergessen wie alt du schon bist", dachte ich auf dem weg zum gartenhaus, wo ich die schachteln mit den puppen prüfen wollte, wie viel waren es wohl inzwischen. diesmal hatte ich mir alle liefern lassen, keine auswahl getroffen, wollte ich neu anfangen, die geschichte neu schreiben, nein, ich wollte mich nur vergewissern, wenn ich eine verloren habe, wird ein leerer kasten da sein. ich fürchte mich davor. ich hörte noch das klappern der hufe und wunderte mich, dass er noch nicht davon ist, oder hatte er gewendet, hatte er einen karton übersehen und will ihn noch bringen. ich blieb stehen, hatte keine lust mich umzudrehen und nochmal mit ihm zu reden, wollte endlich zu den puppen, wollte allein sein. nun war es hinter mir das pferd, aber er rief nicht „hab was vergessen". als es heftig schnaubte und ich mich umdrehte drängte sich ein glänzender schwarzer leib an mir vorbei, ich roch den schweiss, seine hitze und es wieherte, das war nicht das pferd vor dem karren, das war ein anderes pferd, ein junges kräftiges, „deckhengst", rief es von oben, „von der stute weg, aufgesprungen, bin geritten, geritten, geritten.." ich schaute hoch, entdeckte den reiter, der jockey war kleinkerl, der teufel mit den abgesägten hörnern, grün poliert, sass oben und grinste, schlug sich an die hörner. „punktkaro, komm spring rauf, hab noch zaubertinte, können hinauf in die wolken, weiter und wilder, bis es braust", „kleinkerl", sagte ich, „kleinkerl, wieso bist du hier?", und dachte, wie kriege ich ihn nun zurück in die kiste, wieso taucht er hier auf, er sollte nicht hiersein, wie krieg ich ihn da herunter? ich griff nach oben und suchte sein bein, bekam es zu fassen, er beugte sich aber zu mir, rutsche mir entgegen über den schweissnassen rücken, wie auf einer rutschbahn kam mir entgegen, ich konnte ihn fassen und fing ihn auf. da lag er still ihn meiner hand, wie aus holz geschnitzt, die kleine puppe mit derselben hose, in der kleinkerl sich auf dem pferd zeigte, der karrierten jacke, der roten kappe, alles kleiner. er hatte die augen geschlossen und schien zufrieden, wie all meine puppen. vorsichtig trug ich kleinkerl über die schwelle ins gartenhaus, um ihm seinen karton zu suchen, viele standen dort herum, die wand hoch gestapelt, über den tisch verteilt, auf den boden gewürfelt. ich fand ihn, legte kleinkerl hinein, setzte den deckel darauf und stellte ihn zu denen auf dem tisch. dann setzte ich mich auf einen stuhl, einen moment ausruhen, dachte ich, bevor ich mit der inventur beginne.